2. Liga
11. Spieltag 26.09.2022
Spielbericht von Autonama

Don’t work, cry! Der Herbst ist da, Emo-Zeit im Fußball, im Sport und überhaupt: Tuchel lässt sich scheiden und wird hinterrücks entlassen, Nadal und Federer halten Händchen, Nagelsmann muss aufs Oktoberfest, obwohl er keine Lust hat. Godard ist tot. Wir sind die Tabellenführung los. Noch eine Niederlage und ich lese Rilke.

Noch schlimmer: bei einer Niederlage tauschen wir mindestens mit Babelsberg Tabellenplätze und rutschen im Ernstfall auf Rang 6. Interimscoach und Mental-Spezialist Schönsee lässt das aber in seiner Kabinenansprache klug beiseite, ist sanft im Ton und hart in der Sache, lässt alle an die Väter denken, die sie gerne gehabt hätten: »Wir dürfen uns mehr zutrauen.«

Und dann wird es eines dieser Medienliga-Spiele, für die man Übertragungsrechte vergeben kann. Vielleicht nicht Eurosport. Aber Spree TV, der YouTube-Kanal. Beide Mannschaften können was, die ersten zehn Minuten sind offen, ohne allzu klare Torraumszenen, aber die Luft lädt sich langsam auf. Alle auf dem Platz, sogar die zwei Krähen an der Eckfahne sind wacher als zuvor. Babelsberg hat technisch gute Einzelspieler, die den Ball gepflegt aus einer extrem routinierten Verteidigung heraus laufen lassen. Wir hören auf unseren Körper und unsere Gefühle, wir lassen das hohe Pressing, wir lassen das Gegenpressing — keine Leitz-Order am-Spielfeldrand, kein Ralf Rangnick-Vibe. Einatmen, Ausatmen, Spüren.

Mein Gegenspieler ist schnell und wirft einen mitleidigen Blick auf meine ASICS-Laufschuhe (Töppen vergessen), in denen ich die Wendeeigenschaften und die Ballbehandlung eines Marathonläufers bei Kilometer 39 habe. Passen und Schießen fühlt sich an, als hätte ich Autoreifen um die Füße gebunden. Aber ich stelle mich in den Weg. Wie der Kleiderschrank, den die Nachbarn beim Umzug im Treppenhaus »vergessen« haben.

An die Reihenfolge der Dinge kann ich mich nicht erinnern. Aber es ist auch kein Spiel, dass von einer lineare Nacherzählung profitieren würde: Es ist so gut und macht so viel Spaß, weil jederzeit alles passieren kann. Micha lässt hinten nur ganz wenige Babelsberger Spielzüge bis zum Tor kommen. Linus elegante Balleroberungen und Karos wuchtige Anläufe bringen langsam Druck auf den Kessel. Wir haben jetzt mehr Ballbesitz, aber Babelsberg bleibt jederzeit gefährlich mit langen und präzisen Bällen auf die Nummer 8. Meine Schuhe vergeben mindestens eine meiner zwei Chancen. Babelsberg hat mindestens eine, wenn nicht zwei Hundertprozentige. Das Tor fällt nach einer zum Weinen schönen Staffette, etwa in der 20. Minute: Doppelpass Karo/Linus rechtsaußen in der eigenen Hälfte, Doppelpass Karo/Nick weiter vorne, das Ganze dauert vielleicht drei bis vier Sekunden, kluger Ball auf Laurenz am langen Pfosten der drückt ihn im zweiten Versuch über die Linie.

In der zweiten Halbzeit drängen wir mit den unermüdlichen Valerius und Kon auf das 2:0, aber Babelsberg hält uns ganz gut weg vom Tor. Das Spiel ist körperlich, aber nie unangenehm, der Schiri macht das mit Jahrzehnten Erfahrung und was er nicht sieht, korrigieren wir selbst. Ein Schuss von Nik wird von irgendeiner Fußspitze an den Pfosten gelenkt. Wir kommen nach Verletzung Linus und Laurenz etwas aus der Ordnung und müssen eine harte Schlussoffensive überstehen, in der Merkel wirklich glänzend drei oder vier gefährliche Dinger hält. Man of the Match.

Danach schaut die Tabelle wieder freundlicher zurück. Nüsschen und drei Fitnessteller (Würstchen und Kartoffelsalat) bei Empor. Die erste Halbzeit England-Deutschland geht auch vorbei. Über Timo Werner wird gelästert. Timo Werners Pass auf Musiala vor dem Elfmeter wird gelobt. Dann Hansi Flick und Gareth Southgate bei ihrer herzlichen Umarmung nach dem Spiel: Irgendwie voll schön — zwei Männer, die sich gegenseitig ihren Job gerettet haben.

(Von Simon Roloff)